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Land & Leute

Das Königsberger Gebiet und seine Perspektiven

Interview mit Wilhelm von Gottberg, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen

Wilhelm v. Gottberg

Interview mit Wilhelm von Gottberg, Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen

Herr von Gottberg, träfen sich der russische Präsident Putin und Bundeskanzler Schröder heute zu einem Gespräch, in dem es auch um Königsberg ginge, was würden Sie den beiden für ein solches Gespräch raten?

Der Bundeskanzler sollte Königsberg stärker von der Interessenlage der Bundesrepublik her thematisieren. Putin sollte seinerseits von der Bundesregierung ein stärkeres Engagement für die Königsberger Region einfordern.

Das Königsberger Gebiet künftig als Insel in der EU? Wie könnten die Verkehrs- und Grenzfragen gelöst werden? Was sollten dabei die EU und die Bundesrepublik unternehmen?

Die Königsberger Region wird in gut einem Jahr eine Insel (Russische Exklave) innerhalb der EU sein. Das hat gravierende Folgen für die Menschen im Königsberger Gebiet, die, wenn es bei der bisherigen Absicht bleibt, der Visumspflicht bei der Aus- und Einreise unterliegen werden. Damit beeinträchtigt die EU-Schengenregelung den freien Reiseverkehr der russischen Menschen zwischen der russischen Exklave Königsberg und dem Mutterland. Dies ist für Russen nicht akzeptabel.

Am einfachsten wäre das Problem zu lösen, indem man für Königsberg die Visapflicht aufheben, oder ein ganz einfaches Verfahren "Visaerteilung beim Grenzübertritt" beschließen würde. Beides müßte im 21. Jahrhundert realisierbar sein.

Die Befreiung von der Visapflicht würde einen enormen Schub für die wirtschaftliche Entwicklung in der Region bedeuten und damit diesem Armenhaus Europas eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu den Anrainerstaaten bringen. Hier liegt doch das eigentliche Problem. Aufgrund seiner Unterentwickelung und seiner Armut stellt Königsberg ein Problem für die EU dar. Man befürchtet, daß Schmuggel, Kriminalität, Wirtschaftsflüchtlinge und anderes in die EU übergreifen und will dieses durch die Visapflicht verhindern. Das kann nicht gelingen.

Was halten Sie von einer Korridorlösung?

Eine Korridorregelung analog der Regelung für den Reiseverkehr von Ostpreußen ins übrige Deutsche Reich und umgekehrt während der Jahre 1920 bis 1939 ist im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß. Gleichwohl könnte eine Korridorregelung zwischen Litauen und Rußland, oder auch zwischen Polen und Rußland hilfreich sein, um die derzeitigen Meinungsverschiedenheiten zu diesem Problem zu beseitigen. Schließlich hat die Korridorregelung zwischen der DDR und der Bundesrepublik bezüglich West-Berlin über mehr als zwei Jahrzehnte funktioniert. Davon betroffen wäre auch nur der Individualverkehr. Frachtverkehr könnte man auf die Bahn verlegen und Personenzüge können ohne Stop zwischen den beiden Territorien verkehren.

Denken Sie, daß die Ansiedlung von Russland-Deutschen und die Rückkehr geborener Ostpreußen den Aufbau des Königsberger Gebiets beschleunigen kann?

Die Ansiedlung von Deutschen aus Russland kommt in Königsberg nicht voran. Die allermeisten Deutschen aus Russland kommen aus den ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken oder aus Sibirien nach Königsberg, um von der Region am Pregel möglichst schnell in die Bundesrepublik überzusiedeln. Dies ist so. Wir haben da eine 12-jährige Erfahrung. Vielleicht würden mehr Rußlanddeutsche in Königsberg bleiben, wenn ihnen eine bescheidene Zukunftsperspektive geboten würde. Das ist derzeit nicht der Fall. In Königsberg beträgt das Prokopfeinkommen nur 75 % des Prokopfeinkommens in der russischen Föderation. Wir wissen, daß das Prokopfeinkommen in Rußland gemessen an den Maßstäben der Bundesrepublik unter der Armutsgrenze liegt. Dies gilt natürlich nicht für eine kleine Oberschicht.

Zur Ansiedlung von rückkehrwilligen Ostpreußen oder deren Nachkommen ist zu sagen, daß sich derzeit in Deutschland keine hundert Personen finden lassen, die nach Königsberg gehen würden, um dort zu siedeln. Dazu sind die derzeitigen Lebensbedingungen in der Königsberger Region zu schlecht. Damit erweist sich auch die dümmliche Argumentation der militanten AntiFa, beziehungsweise der Ideologen vom linksextremistischen Rand der politischen Klasse, als gegenstandslos. Hier wird der Popanz der "Regermanisierung" aufgebaut, der real nicht existiert. Dies wird von den Russen in der Königsberger Region ebenso gesehen. Allerdings gibt es auch dort einige wenige Kriegsveteranen, die vor einer diffusen Germanisierungsgefahr warnen. Ihre Stichwortgeber sitzen in der Bundesrepublik.

Vor dem Hintergrund unserer Geschichte kann Deutschland aus seiner Verantwortung für Königsberg nicht entlassen werden. Die Bundesregierung müßte aus Sicht der Ostpreußen stärker die wirtschaftliche Entwicklung der Region fördern. Mit wenigen 10 Millionen Euro könnte man vieles bewirken. Außerdem würde die wirkliche Seßhaftmachung von Deutschen aus Russland einen weiteren Zuzug in die Bundesrepublik verhindern und somit unsere Sozialkassen entlasten.

Was ist an dem Gerücht, dass Putin Ostpreußen der Bundesrepublik schon einmal "schenken" oder "verkaufen" wollte?

An dem Gerücht ist nichts dran. Putin betreibt eine viel zu nationalistische Politik, als daß er es sich leisten könnte, auf Königsberg zu verzichten. Die Putin tragenden gesellschaftlichen Gruppen trauern der verlorenen Weltmachtrolle Russlands immer noch nach. Sie wird wieder angestrebt. Tatsächlich aber hat Gorbatschow der Kohl-Regierung Königsberg zum Rückkauf angeboten. Damals stand die konkrete Kaufpreisforderung von 48 Milliarden DM im Raum. Kohl und Genscher haben die Offerte ausgeschlagen, wobei Genschers Ausspruch überliefert ist, daß er "Königsberg noch nicht einmal geschenkt" haben wollte.

Einst wird die Geschichte ein unbarmherziges Urteil über den seelenlosen Pragmatismus der Kohl-Genscher-Regierung in Bezug auf ihre Politik bei der Wende 1989/90 sprechen.

Wie können Sie als Ostpreußische Landsmannschaft dem heute russischen Königsberger Gebiet helfen?

Den Ostpreußen ist die Zukunft des Königsberger Gebietes ein wichtiges Anliegen. Wir beteiligen uns seit 10 Jahren an dem Wiederaufbau der Region. Zu diesem Zweck hat die Landsmannschaft Ostpreußen einen Initiativkreis Aufbau Königsberger Region eingerichtet, in dem Unternehmen und Organisationen, die im Königsberger Gebiet wirtschaftlich oder wirtschaftsfördernd tätig sind, sich austauschen.

Dabei wünschen wir uns, daß nach Schweden, Dänemark und Polen auch Deutschland endlich eine diplomatische Vertretung im Königsberger Gebiet einrichtet. Die Bereitschaft der russischen Gebietsverwaltung dazu ist vorhanden.

Es gibt in Moskau Skepsis gegenüber deutschen humanitären Leistungen - warum?

Die Landsmannschaft Ostpreußen hat bisher beachtliches auf dem humanitären Sektor geleistet. Auch bei der Erhaltung der kulturhistorischen Bausubstanz haben wir uns engagiert. Die Russen anerkennen diese Leistung.

Wenn eine größere Zahl von Russen die humanitäre Hilfe ablehnt, so haben wir als Ostpreußen hierfür Verständnis. Es ist mit dem Selbstbewußtsein der Russen, die im Grunde das reichste Land der Welt besitzen, nicht zu vereinbaren, wenn ihnen humanitär unter die Arme gegriffen wird. Gleichwohl kann auf die humanitäre Hilfe nicht ganz verzichtet werden, denken wir doch nur an die Projekte für Straßenkinder in Königsberg, die von Organisationen aus der Bundesrepublik getragen werden.

Warum beharren die Russen auf dem Stadtnamen Kaliningrad?

Derzeit läuft eine Initiative in Königsberg, der Stadt ihren alten Namen zurückzugeben. Ob sie erfolgreich sein wird, das muß abgewartet werden. Wir vermuten aber, daß die Gebietsadministration in Königsberg verdeckt aus dem Westen ermuntert wird, am Namen Kaliningrad festzuhalten, weil so gewährleistet ist, daß eine geschichtslos heranwachsende Jugend in der Bundesrepublik nicht erfährt, daß Königsberg 700 Jahre bis 1945 deutsch war und nie zu einem anderen Staat gehört hat.

Für das Jahr 2005 organisiert die Königsberger Stadtverwaltung die Feierlichkeiten zu "750 Jahre Königsberg", nicht etwa "750 Jahre Kaliningrad". Das hat bereits, wie uns bekannt ist, bei einigen deutschen Politikern für Irritationen gesorgt.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr von Gottberg!


Dieses Interview mit dem Sprecher der Landsmannschaft Ostpreußen und BdV-Vizepräsident, Wilhelm v. Gottberg, wurde geführt am 23.10.2002.

Zur Person: Wilhelm von Gottberg

Wilhelm v. Gottberg wurde am 30. März 1940 in Woopen / Kreis Bartenstein in Ostpreußen geboren. Seine Familie ist seit vielen Generationen in Ostdeutschland verwurzelt. Im Zuge der Kriegshandlungen musste die Familie mit neun kleinen Kindern Ostpreußen verlassen und den Weg in den Westen suchen. Die Flucht, die Wilhelm v. Gottberg bewusst miterlebte, war für seinen weiteren Lebensweg bestimmend. Da die Familie wirtschaftlich vor dem Nichts stand, hatte er eine schwere Kindheit und Jugend. Er absolvierte eine landwirtschaftliche und handwerkliche Ausbildung und war anschließend 9 Jahre Polizeivollzugsbeamter. Während dieser Zeit erwarb er berufsbegleitend das Fachabitur. Anschließend war er 6 Jahre in leitender Position im Sicherheitssektor eines Industriebetriebes tätig. In dieser Zeit absolvierte er, ebenfalls berufsbegleitend, das Studium der Mathematik und Geschichtswissenschaft für den Lehrberuf. Nach einem psychologischen Zusatzstudium lehrt v. Gottberg seit 1977 Staats- und Verfassungsrecht sowie Psychologie an einer Polizeischule.

Seit vielen Jahren ist der Vater von 6 Kindern im öffentlichen Leben aktiv. Er ist Bürgermeister seiner Wohnsitzgemeinde in Schnega und gehört als Abgeordneter dem Kreistag von Lüchow-Dannenberg an.

Der landsmannschaftlichen Arbeit fühlte sich Wilhelm v. Gottberg aus Liebe und Treue zu seiner ostpreußischen Heimat schon frühzeitig verbunden. Seit 1983 gehörte er dem Vorstand der LO-Landesgruppe Niedersachsen an, dessen Vorsitz er 1987 übernahm. 1990 wurde er zum stellvertretenden Sprecher und am 1. November 1992 erstmalig zum Sprecher der LO gewählt. Wilhelm v. Gottberg ist seit 1992 auch Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen und steht der Ostpreußischen Kulturstiftung als Vorsitzender des Stiftungsrates vor.

Artikel veröffentlicht am 11.11.2002, geändert am 30.04.2007

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